Ich bin Niederrhein (11) Von Michael Elsing

Ich weiß nicht, ob es eine Eigenart des Niederrheiners ist. Fakt ist aber, dass mir folgende These in unserer Region häufig über den Weg gelaufen ist. Sie lautet: Dick gleich gesund! "Iss, damit du was wirst!" Wer hat diese Aufforderung vor allem im Kindesalter nicht zuhören bekommen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: damit ist nicht gemeint, dass unermesslicher Reichtum, privates Glück oder beruflicher Erfolg sich automatisch einstellen, nur weil sie morgens ein Butterbrot mehr essen. Nein, es dreht sich dabei ausschließlich um die körperliche Verfassung.
Vorwiegend ältere Menschen verbinden den "Speck auf den Hüften" eben mit einem optimalen Gesundheitszustand. Das fängt bereits im Säuglingsalter an. Wirft die vornehmlich ältere Dame einen Blick in den Kinderwagen und schaut ihr dann ein pausbäckiges Baby entgegen, dann sagt die Dame: „Der sieht aber gut aus.” Für die Eltern bedeutet dies nichts anderes , als dass es in Zukunft ruhig ein Löffelchen weniger sein darf.
Im Kindesalter setzt sich der Esszwang dann fort. Was habe ich mich früher durch manche Mahlzeiten gequält, weil immer alles aufgegessen werden musste. Und immer wieder war es dieser eine Löffel, der für Mama, Papa, Oma, Opa und alle weiteren Verwandten verspeist werden musste. Den Löffel gibt‘s übrigens heute noch. Ich habe ihn nie verschlungen.
Neben der versprochenen Gesundheit wurde man noch mit einer weiteren Verheißung gelockt. "Iss, damit du groß und stark wirst!" Das Blöde dabei war nur, sobald man eine gewisse Größe und Stärke erreicht hatte, änderten sich die Regeln beim Essen.
Nun hieß es plötzlich: "Iss doch mal was Vernünftiges!" Oder: "Schling doch nicht so!" Nicht zu vergessen der Klassiker, der immer dann eingesetzt wurde, wenn man sich mit dem eigenen Appetit ein wenig verschätzt hatte und die aufgescheppte Portion nicht vertilgen konnte. "Waren die Augen wieder größer als der Mund?" schallte es uns da aus Millionen von erwachsenen Kehlen entgegen. So richtig gemein waren aber die Drohungen, die im Zusammenhang mit dem Essen ausgestoßen wurden. „Iss dein Gemüse, sonst gibt es keinen Pudding!” Oder: "Lutsch nicht so viele Bonbons, sonst bohrt der Zahnarzt!" Ganze Generationen von Kindern wurden so in die Enge getrieben.
Zu allem Übel kam dann noch hinzu, dass auch die Ästhetik beim Essen nicht vernachlässigt werden durfte. "Sitz gerade!", "Ellenbogen vom Tisch!" oder "Kopf über den Teller!" hieß es da Tag für Tag. Ich werde wohl nie begreifen, warum ich die Erbsensuppe, vor der mir so graute, auch noch in einer makellosen Haltung zu mir nehmen musste. Vielleicht frage ich meine Mutter demnächst mal.

RP vom 15.05.2009