Ich bin Niederrhein (12) Von Michael Elsing

Haben Sie schon mal versucht, einem ausländischen Besucher den Sinn eines niederrheinischen Schützenfestes zu erklären? Ich habe dieses Unterfangen mal bei einem amerikanischen Gast gestartet. Und obwohl den Amis gewisse Merkwürdigkeiten in ihrem Verhalten ja bereits in die Wiege gelegt worden sind, habe ich bei meinen Erklärungs-Versuchen selten so viele Fragezeichen im Gesicht meines Gegenübers wahrgenommen.
Während ich über den König, die Königin, den Thron, das Hin- und Herbringen von Fahnen, das Schießen von Preisen sowie das Abhalten von Paraden philosophierte, schleuderte er mir stets ein „Why?” (Warum) entgegen. Und nun war es an mir, ihm mit einem Achselzucken zu antworten. Es ist halt nicht so einfach, einem Außenstehenden begreiflich zu machen, warum sich ganz normale Menschen (vorwiegend Männer) drei, manchmal auch vier Tage lang in eine schwarz-grüne Uniform wanden, von Hü nach Hott marschieren, auf wehrlose Holzvögel schießen und sich dazwischen gnadenlos betrinken. Wer diese Tradition nicht akzeptiert oder sie sogar verurteilt, der sollte sie besser nicht hinterfragen.
Fakt ist jedenfalls, dass so ziemlich jeder Niederrheiner schon einmal ein solches Schützenfest besucht hat. Viele von uns kamen schon zu Königsehren oder haben zumindest zum Throngefolge gehört. Wir nehmen es einfach hin, dass Trommeln geschlagen, Flöten gespielt, Fahnen geschwenkt und Zapfen gestrichen werden. Und wenn der lustige Holzvogel erst mal aufgehängt ist und der Schießmeister (ja, so etwas gibt es auch) das Gewehr vorbereitet hat, dann steigt die Spannung.
Wer holt die Preise? Wer schießt diesmal auf den König? Keine Angst, es wird nicht auf Menschen, auch nicht auf Könige, geschossen. So heißt das nun mal, wenn man den Titel des Schützenkönigs anstrebt. Und wenn der neue Regent dann gefunden ist, wirft das neue Fragen auf. Wer wird Königin? Wer kommt auf den Thron? Und wie sehen die Kleider der Thron-Damen aus? Letzteres Geheimnis wird sich am folgenden Tag bei der Parade lüften. In unserem Dorf und sicherlich auch in vielen Ortschaften am gesamten Niederrhein ist diese Parade eine der beliebtesten Veranstaltungen des gesamten Jahres. Da muss man dabei sein. Das muss man gesehen haben. Wer‘s verpasst, ist selbst Schuld.
Und irgendwann kommt dann der Tag, an dem die mit mehr oder weniger vielen Orden behangene Uniform wieder in den Schrank gehangen wird. Alle Schützen tauchen nun wieder in ihr wirkliches Leben ein. Und nicht wenige zählen die Tage, bis das nächste Schützenfest vor der Tür steht. Dann beginnt sie von neuem, diese schwer zu erklärende Tradition.

RP vom 29.05.2009